Mit unserer kleinen Stilkunde geben wir einen Überblick über wichtige Klavierspielweisen des klassischen Jazz, erheben aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die angegebenen Ausgangsjahreszahlen für eine Spielweise sind Näherungen, bei den „führenden Vertretern“ beschränkten wir uns auf die Angabe der stilbildenden Pianisten der ersten Generation, verzichteten aber auf die Angabe von – teils durchaus wichtigen und zahlreichen – Musikern der folgenden Generationen.

Ragtime


Typische Klavier-Spielweise, die sich von der Melodik und Harmonik her an die europäische E-Musik anlehnt, rhythmisch mit teilweise starker Synkopierung Einflüsse aus Afrika einbezieht und vom formal-kompositorischen Aufbau viele Gemeinsamkeiten mit der Marschmusik hat. Hochblüte ab ca. 1880 bis ca. 1920.

Wichtigste Komponisten: Scott Joplin, James Scott, Joseph Lamb

Blues


Neben Ragtime der zweite, unmittelbare Vorfahre des Jazz, aber mit mehr Nähe zur Folklore und afrikanischen Einflüssen. Harmonisch und formal eher einfach. Nebst dem Klavier spielen die Gitarre sowie Gesang die wichtigste Rolle. Ab ca. 1880, später Weiterentwicklungen Boogie Woogie, Rhythm ´n Blues, Rock ´n Roll etc.

Wichtige Exponenten: Meade Lux Lewis, Albert Ammons, Pete Johnson, Sammy Price etc.

New Orleans


Die traditionelle New Orleans-Spielweise ist klar von den Vorläufern Ragtime und Blues geprägt. Überragender Vertreter des frühen New Orleans-Pianos ist Jelly Roll Morton, eine der zentralen Figuren des traditionellen Jazz und gleichermassen wichtig als Bandleader, (Solo-)Pianist und Komponist wichtiger Jazznummern. Zu den Vertretern des späteren New Orleans Pianos gehört u.v.a. Lloyd Glenn, Dr. John, Fats Domino, die allerdings teils den Stilen wie Blues, Boogie, Rhythm ´n Blues und Rock ´n Roll näher standen als der Musik Mortons.

Ab ca. 1890, führende Vertreter: Jelly Roll Morton Monk

Dixieland


Die Dixieland-Piano-Spielweise ist weniger solistisch als etwa Ragtime und Stride, sondern wird vor allem innerhalb der Band eingesetzt.

Ab ca. 1910, führende Vertreter: Gene Schroeder (Chicago Dixieland), Henry Ragas, Frank Signorelli

Novelty Ragtime


Artistisch-virtuose Weiterentwicklung des klassischen Ragtimes, oft mit verblüffenden pianisten Effekten unter Einbezug der ganzen Tastatur.

Ab ca. 1910, führende Vertreter (insbesondere auch als Komponisten): Zez Confrey, Rube Bloom, Billy Mayerl

Stride Piano


Entwickelt aus den Ragtime bzw. Novelty Ragtime, ist Stride Piano die wohl orchestralste Art des jazzigen Klavierspiels und damit in erster Linie solistsch. Stride Pianisten brauchen keine (Begleit-)Combo, sondern haben die Rhythmusgruppe in der linken und den Bläsersatz in der rechten Hand.

Ab ca. 1910, führende Vertreter: James P. Johnson, Willie „the Lion“ Smith, Thomas „Fats“ Waller

klavierherstellung-1918

Wilson bei einer Benny Goodman-Probe, 1950

Swing Piano


Spielweise, die von den Vorgängerstilen (insbesondere Stride) ausgeht und einerseits die Begleittechnik der linken Hand auflockert und „leichter“ macht, andererseits die akkordisch-melodische Spieltechnik der rechten Hand zunehmend durch lineare Melodieführung ablöst.

Ab ca. 1930, führende Vertreter: Teddy Wilson, Art Tatum, (Earl Hines)

Bebop


Die typischen Spielelemente des Bebop-Klaviers sind – zumindest melodisch – im wesentlichen dieselben wie die Spielweisen der Bläser des gleichen Stils: lineare, oft schnelle und lange Phrasen mit chromatischen Elementen, Einbezug der Blue Notes (vertiefte 3. und 7. Stufe sowie zunehmend vertiefte 5. Stufe). Die linke Hand verzichtet auf das Spielen eines durchgehenden Beats/Pulses (à la Stride), sondern liefert harmonische Einwürfe, oft nicht voll-gevoicete Akkorde, sondern als Terzen, Quinten, Septimen und – seltener – Oktaven.

Ab ca. 1940, führende Vertreter: Bud Powell, Thelounious Monk